Heidig                                             das Zuhause
 
 

Wann meine Großmutter heiratete, weiss ich nicht mehr, ich glaube sogar, dass sie das Jahr nie erwähnt hat. Was sie aber immer wieder betonte, war, dass die Hochzeit in Turoscheln stattfand  -  nur dort gab (und gibt) es eine Kirche, wo sich die jungen Paare der umliegenden Dörfer zur Trauung einfanden.

Nun wohnten Großmutter und Großvater in einer Bauernwirtschaft direkt an der Straße zwischen Erdmannen und Heidig. Obwohl das Gehöft viel dichter bei Erdmannen neben dem einstigen Friedhof) lag, gehörte es dennoch zu Heidig.

Das Foto (oben) zeigt dieses ehemalige Grundstück, in dessen Zentrum immer noch ein Birnbaum steht, an dem meine Tante ein Jahr zuvor den Standort ihres Elternhauses wiedererkannte. Der Brunnen, an dem der Baum einst stand, war allerdings nicht mehr zu finden.

Dort wo das Wohnhaus stand (rechts des Birnbaums auf dem Bild oben), fanden wir ein paar Ziegelsteine, den Standort der Scheune markieren heute dichte Pflaumenbüsche.

Das Zuhause bis die Vertreibung kam

das Heim der jungen Familie Danitz












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Dieses zweite Bild zeigt die Straße zwischen Erdmannen und Heidig; die Büsche hinten links markieren den Standort des einstigen Gehöfts und ganz hinten links (am Bildrand) sieht man ein paar Häuser von Erdmannen.

Es ist schon ein trauriger Anblick, zumal wenn man bedenkt, dass hier eine junge Familie ihre Existenz gründen wollte und dann auf grausamste Weise hinausgetrieben wurde.

Doch egal, wohin man in dieser Hinsicht in Ostpreußen schaut  -  von diesem Schicksal blieb praktisch niemand verschont. Man nicht einmal davon sprechen, dass es den einen besser und den anderen schlechter ging, sondern nur davon, dass es die einen schlecht und die anderen noch schlechter hatten.

Alles, was von den Gehöften meiner Groß- und Urgroßeltern geblieben ist, sind verwilderte Landflecken, die nur noch andeutungsweise vermuten lassen, dass dort einst Häuser standen.

Ausgehend vom vorigen Bild zeigt dieses nun eine ähnliche Szenerie:  die Straße ist dieselbe und auch die Blickrichtung, nur der Kamerastandpunkt befindet sich hier wesentlich dichter am Ort Heidig, der praktisch kurz hinter mir beginnt.

Das Grundstück von Danitz ist hier nicht mehr zu sehen, es wird von anderen Gehölzen am Straßenrand verdeckt, wir sind nun mehrere hundert Meter davon entfernt.

Hingegen sieht man links im Hintergrund ein paar mehr Häuser von Erdmannen.

Ein Blick in die andere Richtung offenbart die letzten Meter vor dem Ortseingang von Heidig, der hier noch mit einer schönen Birkenallee beginnt, welche aber später entfernt wurde, wie wir bei unserer Wiederkehr im Jahre 2011 feststellen mussten.

Gegenüber dem ehemaligen Gehöft der Familie Danitz, aber rund 400 Meter von der Straße entfernt, kurz vor der Waldkante, befindet sich noch heute die einstige Försterei (hier auf dem Bild zu sehen), in der aber inzwischen (seit 1970) eine älteres Bauernehepaar wohnt, das nur noch von seiner Rente lebt.

Meine Großmutter (Großvater befand sich möglicherweise bereits in Kriegsgefangenschaft) flüchtete mit dem „offiziellen“ Treck im Winter 1945 nur bis Allenstein, das liegt ca. 80 km entfernt.

Bei dieser Flucht, bei der sie mit drei kleinen Kindern unterwegs war, verlor sie im Februar ihr jüngstes, das erst sechs Monate alt war, es erfror in ihren Armen. Sie konnte es nur notdürftig am Straßenrand im Wald bei Schönbruch in einer Schublade beerdigen. Der hartgefrorene Boden unter dem Schnee machte ein Graben nahezu unmöglich.

Von Allenstein kehrten sie allerdings zunächst wieder in ihre Heimat zurück  -  warum das so war, weiss ich nicht genau, vielleicht auf Befehl, vielleicht auch freiwillig oder aufgrund einer falschen Information. Doch wie auch immer kehrten sie in ihr Haus zwischen Erdmannen und Heidig zurück  -  zumindest wollten sie es, denn dort angekommen, bemerkten sie, dass es bereits von Russen besetzt war, und so mussten sie auf eine andere Unterkunft ausweichen  -  das war dann die damalige Försterei auf der anderen Straßenseite, hinten am Wald.

Hier lebten sie ungefähr noch ein Jahr im Obergeschoss, bevor sie dann endgültig die geliebte Heimat verlassen mussten.

Als wir 1999 hier waren, wussten wir noch nicht genau, welches Haus zu jener Zeit die Försterei war, zumal es dort zwei Gehöfte gab, aber wir vermuteten es bereits und ich fotografierte dieses Gehöft mit dem dorthin führenden Weg und bei unserer Wiederkehr im Jahre 2011 stellte sich heraus, dass wir tatsächlich richtig lagen.

Dieses Mal war ja der Bruder meiner Großmutter dabei, und dieser konnte sogar etwas polnisch, so dass wir mit den Bewohnern ein wenig in Kommunikation treten konnten. Sie bestätigten, dass damals hier eine junge Frau Danitz mit kleinen Kindern lebte und zeigte auf das Fenster im Obergeschoss  -  dieser Moment ließ bei uns eine Gänsehaut entstehen, wir standen also tatsächlich vor jenem Haus, in dem sich ein (wenn auch kurzes) Stück Familiengeschichte abspielte.

Es gab (so, wie wir verstanden) wohl sogar noch ein paar Briefe, die allerdings inzwischen nicht mehr existieren; zumindest wurde es von diesen beiden älteren, äußerst netten Leuten erwähnt.

Wir wurden im Verlauf des Gesprächs sogar eingeladen, uns mit ihnen an den Tisch im Garten zu setzen und uns weiter zu unterhalten, doch unsere Zeit ließ dies leider nicht zu. Sie wünschten sich aber beim Abschied, dass wir, wenn wir mal wieder hier sind, sie wieder besuchen  -  es war eine wirklich herzliche Begegnung, mit der wir gar nicht gerechnet hatten.

Zwischen Erdmannen und dem Haus meiner Großeltern befindet sich der heute nicht mehr genutzte Friedhof.

Hier liegt auch meine Urgroßmutter begraben, die bereits sehr früh starb, nämlich als meine Großmutter erst fünf Jahre alt war  -  demnach also im Jahr 1918 oder 1919 (der Monat war ja nicht überliefert).


Als wir diesen Friedhof nun im Jahre 1999 betraten, fanden wir ihn völlig verwildert vor. Eigentlich war es nicht mehr als ein kleines Stück Wald, das teilweise schwer durchdringbar war.

Schon damals fiel ein besonderes Kreuz auf, das ich natürlich fotografierte.

Als wir nun im Jahr 2011 wieder hierher kamen, stellten wir fest, dass der östliche (ältere) Teil des Friedhofes, auf dem auch dieses Kreuz steht, in der Zwischenzeit begehbar gemacht wurde. Das Dickicht sowie herumliegendes Holz wurde beseitigt, man konnte nun komplett hindurchschauen.

Auch einige der Gräber wurden notdürftig gesäubert, so dass man sie zumindest wieder erkennen konnte. Unter ihnen war auch jenes mit dem eisernen Kreuz.

Die Frau, die hier begraben liegt, muss damals eine gewisse Bedeutung gehabt haben, denn sie starb bereits im Jahre 1890 und ihr Grab wird bis in die Gegenwart erhalten.

© 2010 Marco Just   ❘  Alle Rechte vorbehalten.